Die Apokalypse erreicht Rosdorf

Teil 2

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Die ADF stellt seit 4 Jahren die größte Fraktion im Studierendenparlament. Eine Analyse und Kritik ihres „Programms” stand bisher aus. 2. Teil.

Die Analyse der ADF als gesellschaftliches Phänomen, welche in der vorletzten BB-Publikation begonnen wurde, wird hiermit fortgesetzt. Vorweg nur, dass sich nicht genau an den Marschplan gehalten werden konnte, der dort angekündigt war.

Die Politisierung der Unpolitischen

Die ADF ist der politische Ausdruck derjenigen Teile der Studierendenschaft, denen ihr Studium als ein, vielleicht angenehmer, Teil des Lebens gilt, der trotz der Leichtigkeit vor allem eine Vorbereitung für die spätere Position im Verwertungsprozess (Berufsleben) darstellt, die man sich hinreichend abgesichert erwünscht. Es sind diejenigen, die „hier einfach nur studieren wollen”1: sie planen ihr Leben und wollen dabei möglichst glatt kalkulieren. Das bedeutet für sie, sich so gut es geht „durchzuwursteln”, dabei aber alle Vorgaben anzunehmen, die ihnen gemacht werden. D.h. sie machen sich selbst zu hinnehmenden Komponenten im Produktionsprozess, lassen sich in die Positionen schieben, die der vorgegebene Prozess für sie vorsieht.2

Sie lassen sich in der Universität ausbilden; und bereits in dem Begriff „ausbilden lassen” steckt die Fremdbestimmung, die diesem Prozess eigen ist, d.h. eben nicht mündig und selbstbestimmt zu werden, sondern sich einem von außen gesetzen Ziel nach formen zu lassen. Dieses Auffassung von Bildung steht damit aber im Gegensatz zum bürgerlich-emphatischen Bildungsverständnis, das die Entwicklung des Individuums unabhängig von äußeren Zwecken, in einem eigengesetzlichen Prozess begriff. Dieses Verständnis ist jedoch heute zur reinen Bemäntelung der Struktur herabgesunken, in deren Form Bildung sich einzuordnen hat, der kapitalistischer Produktionsweise. Der Universitätspräsident führt unbekümmert Humboldt im Munde während er die Zusammenstreichung ganzer Fachbereiche und die Ausrichtung der verbliebenen an ökonomischen Vorgaben verkündet. Während man im ganzen Land das Schillerjahr abfeiert, verschärft man politisch das Bildungsprivileg und bringt damit Schiller wieder auf den Begriff, unter dem im wirtschaftlich unterentwickelten Deutschland die bürgerliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts weithin Gestalt annahm, in der Scheidung zwischen den „gebildeten” und den „arbeitenden Ständen”.

Natürlich unter anderen Vorzeichen: in der bürgerlichen Umwälzung steckte konkret die Befreiung von direkter Herrschaft feudaler und absolutistischer Provenienz und in der bürgerlichen Philosophie die Möglichkeit weitgehender Befreiung und Autonomie des Individuums durch das Fortschrittliche der formalen Gleichheit aller Subjekte.

Auf dich kommt es nicht an!

Dieser Hauch von Freiheit war aber bereits im Entstehen in Auflösung begriffen. Die Sprache über die Menschen ist mittlerweile die totaler Verwaltung. Die Art, wie politisch und ökonomisch von Studierenden gesprochen wird, als bloße Masse v.a. geistiger Arbeitskraft, die man sich in dieser oder jener Spezialisierung, besonders aber in spezifischer Denkform wünscht, ist die von Herrschaft, eigentlich wieder die des Herrn über seinen Sklaven, des Feldherrn über seine Truppen, die ihm nur Dinge und Mittel sind, die er zu seinem Vorteil einzusetzen gedenkt, ein Denken, welches die Aufklärung doch abgeschafft wissen wollte.

Die Geisteshaltung, die sich in Sätzen wie „Die Deutschen brauchen mehr akademischen Nachwuchs”, „Bis dann und dann werden uns soundso viele Ingenieure fehlen. Dem müssen wir gegensteuern" Ausdruck verschafft, vollzieht sich im subjektiven Bewusstsein aber nur unter Absehung von den objektiven Interessen der Menschen und vor allem in der Abstraktion von ihrem konkreten Ängsten, die die Verfügung über sie hervorruft. Das ist nur noch zu leisten in der Berufung auf ein abstraktes höheres Ganzes (Nation, Standort, etc.), hinter dem sich das konkrete Herrschaftsinteresse verschanzt. Nicht der Mensch, sondern seine Funktion bestimmt dieses Denken. Die Studierenden werden als bloße Verfügungsmasse ihrer reinen Funktionalität nach betrachtet und wiederholen ihrerseits diese Objektivierung. Die neue Shellstudie zeigt dies deutlich. Noch nie war eine Generation so pragmatisch eingestellt. Zugleich war die Angst um die eigene Zukunft noch nie so groß, wie in dieser Generation. Dies gilt es zusammenzudenken. Aus der Angst um die eigene Zukunft entsteht das Bedürfnis nach pragmatischem Durchhangeln und Anpassung an die vorgegebene Struktur.3 Dem entspricht das System, in das sie eingebunden werden, die Universität (besonders) in der neuen Struktur der Bachelor- und Masterstudiengänge, durch die ihnen von vornherein klar gemacht wird, dass es gar nicht auf sie ankommt, sondern nur auf das, zu dem sie gemacht werden sollen.

Wenn man realistisch ist

Während auf der einen Seite durch die Brechung der Hochschulautonomie und demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen, Leistungsdruck bei Studierenden und Lehrenden, Einflussnahme ökonomischer Think Tanks auf Studienstruktur und -inhalte Reste und Möglichkeiten widerständigen Denkens „ausgemerzt” werden sollen4, wird auf der anderen Seite Studierenden und jenen, die es werden wollen, vorgegeben, was gute Hochschulbildung zu sein hat. Rankings von CHE und ähnlichen „Instituten” simulieren feste Standards für die Bewertung von Bildung an Hochschulen, angeblich im Interesse der Studierenden. Die Integration eigener Interessen läuft somit über Service, ohne dass die Studierenden ihr gesellschaftliches Schicksal, gerade wegen dieser sozialen Integration, mehr in der Hand hätten als noch vor 30 oder 40 Jahren. Die Interessen der Studierenden werden produziert, und zwar anhand abstrakter Standards, nach denen sie ihre Interessen bilden. Service ist die eine Seite der gesellschaftlichen Organisation von Interessen und der damit verbundenen Auslöschung des Widerspenstigen im Individuum, schließlich seiner Autonomie.

Die Auswahl des Studienorts orientiert sich somit nicht mehr so sehr am selbstgefundenen Interesse an den dort gelehrten Inhalte, sondern folgt in diesem Interesse einer Bewertung, die von den konkreten Inhalten abstrahiert und das Studium nach vermeintlich subjektiv (d.h. für diejenigen, die ihr Studium beginnen) wichtigen Kategorien wie Kürze des Studiums, Ansehen des Abschlusses in der Arbeitswelt, etc. hin analysiert. Diese Kategorien aber sind zutiefst bestimmt von den Bedingungen, welche der ökonomische Prozess an die Studierenden stellt. Sie werden ihnen jedoch als eigenes Interesse vorgestellt. Dieses wird organisiert.

Hieran ist zu sehen, dass der Bereich, der im bürgerlichen Verständnis den Ort darstellt, in dem das Subjekt größtenteils ganz sich selbst gehört, das Private, bis ins kleinste hinein gesellschaftlich bestimmt ist und zwar über den banalen Begriff hinaus, dass das Private, durch die Trennung vom öffentlich-politischen Bereich bereits durch diesen bestimmt sei. Beide Bereiche haben sich vielmehr nach der ihnen vorgeordneten kapitalistischen Ökonomie zu organisieren.

Ich-Maschine

Die wissenschaftlichen Inhalte an den Universitäten sind weder für die abstrakten Kategorien, die an sie angelegt werden, wichtig, noch sind sie als Inhalte gesellschaftlich präsent. Auf sie kommt es gar nicht mehr an. Die Produktion von im Verwertungsprozess fungiblen und im Arbeitsleben abrufbaren Denkens kann bereits jetzt im bewusstlosen Vollzug ökonomisch präformierter Denkprozesse geleistet werden. Die Zombies, die für einen solchen Vollzug nur mehr gebraucht werden, sollen in der neuen Studienstruktur herausgebildet werden.5 Sie ist gar nicht mehr darauf ausgerichtet, sich den Inhalten entsprechend mit diesen auseinanderzusetzten, sondern soll eine bestimmte Denk- und Lernstruktur trainieren. Stetes kurzfristiges Lernen, stete Abprüfung ohne „Nachhaltigkeit”, häufige Textproduktion, die im dichtgedrängten Stundenplan gar nicht mehr dem Gegenstand entsprechend sein kann und auch nicht darauf angelegt ist; das alles zielt auf die Flexibilisierung des Denkens zugunsten universaler Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit über das Denken der Einzelnen, das damit, genaugenommen, aufhört, Denken zu sein.6 Es entwickelt sich zur Denkmaschine, die angeworfen wird, um aus vorgegebenen Fragestellungen die „richtigen” Schlüsse zu ziehen. Denken wird ebenso zur Ware gemacht und dem Individuum, dem es innewohnt, gegenüber vergegenständlicht und entfremdet, wie die Arbeitskraft dem Arbeiter, als zu veräußerndes Vermögen, das er zur Selbsterhaltung verkaufen muss. Denken wird damit sowohl zum bloß logischen Prozess, bar jeder Spontaneität, damit aber statisch, als auch zum Bereich des Fremdbestimmten, der Interessen der bloßen Produktion, welcher „das abstrakte Funktionieren des Denkmechanismus”7 zugute kommt.

Das böse, fiese Leben erdrückt uns – Testament der Angst

Entscheidend ist nun die Reaktion der Studierenden im Allgemeinen und der ADF im Besonderen auf diese entscheidenden Umformungen der Universitäten und des Denkens. Diese, so unsere These, ist rein kontemplativ, d.h. passiv dem Prozess gegenüber, der auf sie einwirkt, aktive nur in der Anpassung an diesen. Dieses Verhalten aber reproduziert den Prozess, dem die Subjekte unterworfen sind und zementiert die Ohnmacht, diese Verhältnisse zu verändern. Gleichzeitig zeigt sich in solcher Reaktion rational ökonomisches Verhalten. Dafür bietet sich schließlich die, wenn auch abstrakte, Möglichkeit des individuellen Aufstiegs, die Möglichkeit des eigenen Durchkommens.

Diese Reaktion basiert in ihrem Kern auf realer, begründeter Angst. „Wer sich nicht nach den ökonomischen Regeln verhält, wird heutzutage selten sogleich untergehen. Aber am Horizont zeichnet die Deklassierung sich ab. Sichtbar wird die Bahn zum Asozialen, zum Kriminellen: die Weigerung, mitzuspielen, macht verdächtig und setzt selbst den der gesellschaftlichen Rache aus, der noch nicht unter Brücken zu schlafen braucht. Die Angst vorm Ausgestoßenwerden aber, die gesellschaftliche Sanktionierung des wirtschaftlichen Verhaltens, hat sich längst mit anderen Tabus verinnerlicht, im Einzelnen niedergeschlagen. Sie ist geschichtlich zur zweiten Natur geworden”8. Recht behält Adorno mit dieser Einschätzung, die Anpassung an die Vorgaben der Ökonomie entspringe zutiefst sitzender gesellschaftlicher Angst. Nur dass, im Vergleich zu 1955, der Horizont der Deklassierung für Studierende zum drohenden Gewitterhimmel sich zusammenzog. Dumm, wer jetzt noch etwas studiert, was ökonomisch nicht genug austrägt, Soziologie oder Kunstgeschichte, Philosophie gar. Was wird man später damit, was fängt man damit an? Häufig angetragene Fragen. Und darauf folgt dann die stete Rechtfertigung, was man doch alles damit machen könne, wo man vielleicht doch noch Chancen habe, natürlich nur wenn man noch die und die Praktika mache, sich weiter qualifiziere, die anderen ausstäche, um vielleicht irgendwann eine Nische zu erorbern. Und wenn man vielleicht doch etwas studiert, was sich gut in den Verwertungsprozess einfügt, so muss man auch hier feststellen, dass man dabei gar nicht alleine ist. Alle andere Kommilitonen erscheinen nunmehr als KonkurrentInnen im Kampf um einen vermeintlichen Platz an der Sonne des ArbeitsLebens. Man verstellt die Bücher in der Bibliothek, behält seine Vorlesungsaufzeichnungen für sich und sorgt dafür, sich bei ProfessorInnen und DozentInnen ins rechte Licht zu setzen, indem man deren Vorgaben ohne Widerspruch erfüllt – und seien sie noch so abwegig.

Abgesehen von den ganzen psychischen Verwerfungen, die eine solche gesellschaftliche Situation produziert, führt der Anpassungsdruck zu einer selbstauferlegten Sinnentleerung des eigenen Denkens. Der Integration von oben korrespondiert die Assimilation des eigenen Ichs.

Am Pol der Macht

Ein schönes Beispiel für diese freiwillige Sinnentleerung stellt ein aktuelles Plakat des Debattierclubs Göttingen dar, an dem man das doch mal konkret nachvollziehen kann. (Alle weiteren Zitate sind aus dem Plakat entnommen).

Auf einem blauen Plakat in DinA3-Format, dessen Hintergrund sich von einem kräftigen ultramarin am oberen Ende sich, wenn der Blick das Bild herab zu einem seriösen Anzugsblaugrau herabdunkelt, prangt in der oberen Hälfte ein schattiertes „debattieren?” in rot in der Mitte eines Blasendiagramms. In den Blasen, die von diesem „debattieren?” ausgehen finden sich Begriffe (u.a. „Rhetorik”, „Zeitmanagement”) und Phrasen („keine Angst mehr, vor Leuten zu sprechen”, „argumentieren lernen”, etc.). In der Mitte des oberen Bildrandes hat man dezent das Logo des Debattierclubs, dass die Initialen D und G vor einem stilisierten neoklassischen Gebäude zeigt, eingefügt. Darunter verblassen die Fragen, die man sich im Debattierclub so stellt („Hartz IV rückgängig?”, „Verbot der NPD?”, „Folter für Menschenleben?”, „Studiengebühren?”, „Wahlpflicht?”, etc.), hinter dem Blasendiagramm.

Das untere Drittel bringt die Beantwortung der Fragen Wann? Und Wo?, darauf folgt die Internetadresse. Zu guter Letzt finden sich noch zwei kleine Texte („Was ist eigentlich eine Debatte? Was (be)treibt ein Debattierclub?” und „Warum aber debattieren?”) nebst einer Graphik einer solchen Veranstaltung – Pro- wie Contra-Fraktion, das Rednerpult in der Mitte.

„Die Debatte ist ein geordnetes Streitgespräch”, was aber nicht nur bedeutet, dass man darauf achtet, nicht gegeneinander handgreiflich zu werden, sein eigenes Redeverhalten zu reflektieren, Geschlechter- und Wissenshierarchien abzubauen. Es bedeutet, dass der Inhalt und vor allem die Form, in der er verstanden und verhandelt werden kann, sich einer abstrakten Vorgabe anpassen muss. Es gibt nur Pro- und Contrapositionen und diese werden den Teilnehmern zugelost. Damit aber werden die Inhalte austauschbar, der eigene Standpunkt hat außen vor zu bleiben, man vertritt die Position, die einem zugewiesen wird. Das wird auch offen so gesagt: „es geht also meist nicht darum, seine eigene Meinung zu vertreten”. Wie im Arbeitsleben ja auch. Man beschränkt sich also schon vorher und übt die Verhaltensweisen ein, die gefragt sind, die Reduzierung auf abstrakte Skills, die losgelöst vom konkreten Inhalt hier trainiert werden können. Es findet also genau die Abstraktion von konkreten Inhalten statt, wie sie auch durch die Einführung von BA/MA-Studiengängen intendiert ist.

Fragt man sich nun aber, warum man denn überhaupt, losgelöst vom eigenen Standpunkt und Interesse diskutieren soll, so findet man die Antwort in dem mit „Warum aber debattieren?” betitelten Textabschnitt:

„Kaum eine Fähigkeit wird heutzutage mehr geschätzt und gefürchtet als die, sichartikulieren [sic!] zu können. Probleme treffsicher anzusprechen. Ideen klar und präzise zu formulieren, Anschaulich [sic!] vorzutragen, Menschen zu überzeugen. Sprachliche Kompetenz verleiht Sicherheit in jeder Lebenslage, auch bei Referaten und mündlichen Prüfungen. Beim wöchentlichen Debattieren lernst Du, Themen schnell zu durchdringen, Dich mit dem Für und Wider auseinanderzusetzten, im Team strategisch zu agieren, sicher vorzutragen und mit klaren Argumenten zu überzeugen. Wer nicht reden kann, hat meist auch nichts zu sagen.” [Fett- und Kursivsetzung im Original]

Man lernt also ohne eigenen Standpunkt, mithin also stumpf gegenüber den Inhalten, zu diskutieren, weil Mensch es sonst in jeder Lebenslage, worunter man den Verwertungsprozess verstehen muss, schwer haben wird.

Durch die Wendung am Ende wird sowohl die Aggressivität offenbar, mit der (Bildungs-)privilegien in der Studierendenschaft verteidigt werden, sie führt aber auch den Index von Angst mit sich. Man weist denen, die nicht reden können, ihren Platz in der Gesellschaft zu: den Mund halten und tun hat, was die Debattierclubler aller Länder einem treffsicher und präzise formulieren. Man spricht dann davon „Menschen zu überzeugen”.

Es schlägt sich hier aber auch die Erfahrung nieder, dass eigene Meinung und eigenes Interesse in der Gesellschaft und im Arbeitsleben nichts gilt. Nur die haben etwas zu sagen, die die Form perfekt beherrschen. Will man nicht abrutschen, muss man dafür sorgen, dass man zu denen gehört, die das können. Vielleicht hat man ja Glück und die eigene Überzeugung, die jenseits des Arbeitslebens schlummert, trifft sich mit der gefragten. Ansonsten gibt man die eigene auf und übernimmt völlig die vorgegebenen. Dann erreicht man schneller, worauf man sonst nur hoffen kann, die Übereinstimmung des eigenen Standpunkts mit dem vorgegebenen. Wer sich aber nicht gerne freiwillig zum Opportunisten machen möchte, muss gegen jede Form, die Denken und Standpunkt vorgibt, angehen. Die Form der Debatte muss sich an den Inhalten bilden, die verhandelt werden. Wird sie vorher gesetzt, so geschieht dies meist unbewusst gegenüber den Interessen, die diese Form vertritt. Konkret setzt sich damit Verwertungsinteresse durch, bevor die Inhalte überhaupt genannt werden. Es ändert nichts an der falschen Einrichtung der Gesellschaft und ihren Auswirkungen auf jede/n Einzelne/n, wenn man sie in seinen Debattierclubs freiwillig reproduziert.

Fragt man sich nun, warum die ADF, um die es hier doch gehen sollte, in diesem Text nun kaum auftaucht, so findet man die Antwort darauf in der nächsten Ausgabe.

1) Wadenbeißer Nr. 36 (15.1.2002), S.2.

2) Lukács spricht vom „kontemplative[n] Charakter des kapitalistischen Subjektsverhalten[s]”. Darunter versteht er das Verhalten, welches „der Arbeiter der einzelnen Maschine, der Unternehmer dem gegebenen Typus der maschinellen Entwicklung, der Techniker dem Stand der Wissenschaft und der Rentabilität ihrer technischen Anwendung gegenüber” im Kapitalismus einzunehmen gezwungen wird. Der Unterschied zur gesellschaftlichen Situation, welche Lukács 1923 beschrieb, scheint heute der zu sein, dass dieses Verhalten nicht mehr erzwungen wird, sondern selbstauferlegt wird. Georg Lukács: Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats; in: ders.: Geschichte und Klassenbewußtsein; Berlin 1923, S.110.

3) Dies führt zu einer Einstellung, in der die eigenen Privilegien erbittert verteidigt werden, was zu einer – von der Studie ebenfalls festgestellten – Zunahme von Fremdenfeindlichkeit führt. Genau diese Verteidigung von Privilegien unter pragmatischen Gesichtspunkten ist, wie auch noch ausgeführt werden wird, das Programm ADFscher Unipolitik.

4) Herr Kurt von Figura hat unbewusst genau die richtige Vokabel benutzt, mit der er die Abwicklung der Politikwissenschaften bezeichnete. Sie legt offent, worauf die ökonomisch-gesellschaftliche, mithin die historische Tendenz ohne wirkliche Befreiung der Menschen, hinausläuft: auf die Ausmerzung des autonomen Individuums.

Wobei man dabei nicht dem Fehlschluss verfallen sollte, bei der Arbeit der Politikwissenschaften hätte es sich um kritische Wissenschaften gehandelt.

5) Sicherlich erfüllt sie nicht hundertprozentig diese Aufgabe, aber insoweit sich Wirtschaft und Politik auf die Reaktionsweisen der Studierenden, wie sie sich in der ADF und damit als bestimmend in Studierendenschaft aufzeigen lassen und auf die im weiteren noch genauer eingegangen werden soll, verlassen können, wird mit dieser Umstrukturierung zusammen mit Studiengebühren ziemlich genau dies erreicht: die Anpassung an fremdgesetzte Studienziele. Vgl. hierzu auch den Artikel Studiengebühren bereits vor der Einführung ein voller Erfolg; BB-Zeitung #7, Dezember 2005.

6) „Arbeitgeber brauchen Menschen mit Selbstdisziplin, die sich an ständige Veränderungen anpassen können und endlosen neuen Herausforderungen gewachsen sind” (European Roundtable of Industrialists) und passen dazu das CHE: „Eine zentrale Funktion von Bachelorstudiengängen unabhängig vom Studienfach, besteht darin, die Lernfähigketi der Studierenden auf hohem Niveau zu entwickeln (...) damit sie den Anforderungen ständiger Weiterqualifikation zum Erhalt ihrer Berufsfähigkeit (...) Rechnung tragen können.”

7) M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft; Frankfurt a.M. 1997, S.15.

8) T.W. Adorno: Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie; in: ders.: Gesellschaftstheorie und Kulturkritik; Frankfurt a.M. 1975, S.99., entstanden 1955

Erschienen am: 06.12.2006 AutorIn: email-address

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