Furcht und Zittern

"Wie gerufen kam ich den Unterdrückern!
Oh folgenlose Güte! Unmerkliche Gesinnung!
Ich habe nichts geändert"
(Heilige Johanna der Schlachthöfe)

Angst geht um unter den Hochschullehrer_innen. Es ist nicht die Angst vor dem umgehenden Gespenst des Kommunismus, sondern die Angst voreinander und vor der eigenen Überflüssigkeit. Doch anstatt auf die gesellschaftlichen Ursachen zu reflektieren und praktisch-solidarische Auswege zu finden wird der Druck nach unten, auf die Studierenden, abgewälzt.

Vor ein paar Jahren noch konnte es passieren, dass man zum Beginn seines Studiums von der einen oder dem anderen Professor_in dazu angehalten wurde, die formalen Bedingungen, die das Studium damals an Studierende stellte, als Empfehlungen zu verstehen und sich darüber hinaus nach eigenem Interesse an der Hochschule umzusehen. Man habe das Recht an jeder Veranstaltung teilzunehmen und das solle man auch nutzen, um sich jenseits der gewählten Studienfächer umzutuen und andere Formen des Lernens auszuprobieren. Daraus schließlich sollten eigene Interessen, Positionen und Fragestellungen entwickelt werden, für deren Verfolgung und Vertiefung die Hochschule die Freiheit böte. Das Studium sei viel mehr als - und eben nicht wesentlich - die Vorbereitung aufs spätere Berufsleben, sondern Bildung im emphatischen Sinne.

Diese Zeiten sind wohl vorbei. Gesellschaftlich hat sich ein gänzlich anderes Verständnis von Bildung durchgesetzt, das durch das Moment der Heteronomie, der Fremdbestimmung gegenüber dem Sich-Bildenden aber auch durch Blindheit gegenüber den Inhalten von Bildung gekennzeichnet ist. Die Struktur der Bachelor- und Masterstudiengänge deutet eher darauf hin, dass dem Inhalt nur mehr ein sekundärer Platz zukommt. Das mit ihnen anvisierte „Bildungsziel“, „unabhängig vom Studienfach [...] die Lernfähigkeit der Studierenden auf hohem Niveau zu entwickeln [...] damit sie den Anforderungen ständiger Weiterqualifikation zum Erhalt ihrer Berufsfähigkeit [...] Rechnung tragen können“1, setzt sich gerade durch die Struktur des Studiums durch. Anything goes - but under the same conditions. Dass sich aber dieser Begriff durchsetzte, daran haben politische und ökonomische Entwicklungen einen entscheidenden Anteil, denen wir an anderer Stelle nachgegangen sind (Für uns zentrale Gedanken hierzu haben wir im Artikel „Bildung im Wandel“ entwickelt, BB-Zeitung Nr. 2, www.bb-goettingen.de/162).

Die praktische Durchsetzung dieses Bildungsbegriffs geht einher mit einer Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschulen, die sich an dem Vorbild von Kapitalgesellschaften orientiert. Den Leitungsorganen, Präsidium und Dekanaten, sind bereits heute fast alle wichtigen Kompetenzen übertragen, die gewählten Selbstverwaltungsorgane üben überwiegend nur noch eine beratende Funktion aus. Über die Einrichtung von Hochschul- oder Stiftungsräten erhalten Unternehmen direkten Einfluss auf universitäre Angelegenheiten. Diese Umstrukturierung firmiert dabei unter dem Titel „Freiheit und Autonomie der Hochschule“. In Göttingen nennt sich das ganze eine „Neujustierung des Verhältnisses von Universität und Staat“ und „des Verhältnisses von Leitung und Fakultäten“ im Projekt „Rückgekoppelte Autonomie als Prinzip einer Universitätserneuerung“2. Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies in einem Artikel im Freitag über das neue nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ darauf hin, dass diese Umstrukturierung – wenn überhaupt – nur auf eine Stärkung der wirtschaftlichen Autonomie der Hochschulen hinauslaufe, aber die demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen unterlaufe. „Die Entmachtung der gewählten Kollegialorgane ist nicht nur ein Schlag gegen die Mitbestimmung von Studierenden und Personal, sondern gegen die Hochschulselbstverwaltung als solche: Auch die Machtstellung des bislang durch absolute Mehrheiten in allen Gremien privilegierten Professoriats wird substanziell untergraben, wenn die Gremien im Wesentlichen nur noch Beratungsfunktionen ausüben.“3

Genau hier ist anzusetzen mit einer Kritik an dem Verhalten dieser Professor_innenschaft. Wie kommt es, dass diejenigen, deren Job zutiefst mit einem emphatischen Bildungsbegriff verbandelt ist, an einer Hochschulreform mitarbeiten, die diesen Begriff ad absurdum führt?

Dabei ist zunächst einmal auch darauf zu verweisen, dass der vorherige Zustand der universitären Selbstverwaltung kein Zustand war, zu dem man zurück, sondern über den man hinaus muss. Die Forderung, das professorale Übergewicht in der universitären Selbstverwaltung zu brechen ist bereits älter und durchaus richtig und aktuell. Zumindest erreicht werden sollte eine gleichberechtigte Mitsprache aller Statusgruppen.

Der entscheidende Punkt, der hier entwickelt werden soll, ist, dass sich der oben skizzierte neue Bildungsbegriff und seine praktische Umsetzung an den Hochschulen nicht ohne das widerstandslose Hinnehmen oder taktisch-paktierende Mitmachen der Hochschullehrer_innen durchgesetzt hätte. In der Sachzwanglogik sich bewegend, hofft jede_r einzelne von ihnen auf Vorteile für sein eigenes Fach und seinen Standort, und die ganze Professor_innenschaft darauf, den kaputtgesparten Hochschulbetrieb durch Elitenausbildung und Studiengebühren noch irgendwie aufrechterhalten zu können und dabei auf der besseren Seite zu landen. Die Leichtigkeit aber, mit der Hochschullehrer_innen erpressbar sind und sich erpressbar gezeigt haben, lässt noch Schlimmeres erwarten. Sie ließen und lassen sich gegeneinander ausspielen. Ihre praktische Entsolidarisierung, im Zweifelsfall doch die jeweils eigenen Pfründe und Fachbereiche gegen die anderen zu verteidigen, zeigt einen Zustand der Angst und Unfreiheit in ihrem Bereich an, der in einem krassen Widerspruch zum Begriff von Bildung und Wissenschaft steht, dem als ein zentrales Moment das der Freiheit und der Befreiung zukommt.

„Die gegenwärtige Umstrukturierung der Hochschulen“, so Andreas Keller, „zielt zunächst auf eine Neubestimmung des Verhältnisses von Hochschule und Staat ab – vordergründig im Sinne einer Stärkung der Autonomie der Hochschulen, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten durch die Globalisierung der Hochschulhaushalte.“ (So sieht es auch die Universität Göttingen in der offiziellen Darstellung ihrer internen Umstrukturierung.) „Die gegenwärtige Hochschulstrukturreform zielt aber“, so führt er weiter aus, „zugleich auf die Etablierung eines marktförmigen Wettbewerbs – sowohl im Verhältnis zwischen Hochschulen und Staat als auch zwischen Hochschulleitungen und Fachbereichen – ab. [...] Das Ergebnis der auf diese Weise erzeugten Quasi-Märkte ist also nicht eine Autonomie der Hochschule, sondern deren Heteronomie: ihre externe Steuerung durch marktförmigen Wettbewerb.“4 Dies dürfte auf Seiten der Professor_innenschaft und des Mittelbaus auch zu einer weiteren Verschärfung des inneruniversitären Konkurrenz, zur Ausweitung des wissenschaftlichen Kontrollmechanismus Universität, und zur weiteren Beschränkung spekulativen und ungedeckten Denkens führen.

Wer einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, einem wissenschaftlichen Kolloquium oder einer Berufungskommission beizuwohnen, den mag es verwundern, mit welcher Härte dort die „Kolleg_innen“ gegeneinander angehen, eine Härte, die zwar durch die Anforderungen der Wissenschaft begründet wird, aber doch nichts mit solidarischer Kritik zu tun hat. Sie wissen sich alle in der Situation von konkurrierenden Bittsteller_innen und trotz dieses Wissens kultivieren sie einen Denkhabitus, der die Schwäche im Anderen sucht.

Das ängstliche und unsolidarische Verhalten, das viele Hochschullehrer_innen dann an den Tag legen, wenn mal wieder Kürzungsforderungen von oben kommen, dürfte nicht zuletzt in dieser Form begründet sein, in der sich Wissenschaft bis heute abspielt, in der des Wettbewerbs, und in der Rückwirkung dieser Form auf den Charakter von Wissenschaft selber. An die Stelle der Sachbeziehung tritt der Wettbewerb der Wissenschaftler_innen untereinander, ein Phänomen, das sich z.B. bei der Promotion und Habilitation bemerkbar macht. Die Promotionsarbeit ist nicht nur Ergebnis des Sachinteresses, mit ihr hat man sich auf dem akademischen Markt zu positionieren. Man muss die Arbeit stets auch im Hinblick auf die angestrebte Karriere schreiben, im Hinblick auf die Förderung, etc, also stets im Hinblick auf einem dem eigenen Sachinteresse äußeres. Auch das Studium soll man ja nun im Hinblick auf etwas anderes planen, im Hinblick auf die Verwertbarkeit des eigenen Humankapitals, das ja nur dadurch, dass es fremdbestimmt eingesetzt und in Fluss gebracht wird wird, erst zum Kapital wird. Dies frisst sowohl das eigene Sachinteresse an, wie er die Beziehungen der Wissenschaftler_innen untereinander in eine Konkurrenzbeziehung verwandelt. Sowohl das Produkt des eigenen Denkens als auch dieses Denken selbst wird zur Ware und das erscheint bei einem geistigen Produkt schwierig, als es einem selbst doch als gar nicht veräußerlich erscheint. Der ganze Wissenschaftsbetrieb ist aber so eingestellt, dass dieses Verhältnis nicht wirklich angegangen wird.

Dem steht der Begriff der Bildung als Entrohung5 des sich bildenden Menschen entgegen, der auch auf eine Entrohung der Gesellschaft abzielt. In der Auseinandersetzung um die Rückgewinnung und Erweiterung der Selbstbestimmung von Bildung und Bildungsinstitutionen, ist, diesem Begriff folgend, gegen diese Form des „wissenschaftlichen“ Umgangs miteinander genauso anzugehen wie gegen die daraus folgende Haltung der Hochschullehrer_innen.

Aufgabe von Bildung wäre es zu diesem Zeitpunkt, Widerstand zu kräftigen anstatt Anpassung zu verstärken. Den Hochschullehrer_innen käme die Aufgabe zu, den Begriff von Bildung, den sie einst und auch noch heute hochhalten, praktisch werden zu lassen. Dass aber diejenigen, die in ihrem ganzen Tun dermaßen auf einen emphatischen Begriff von Bildung angewiesen sind – und zwar nicht nur als Selbstrechtfertigung, sondern darin, dass dieses Tun immanent auf diesen Begriff und seine Verwirklichung angewiesen ist, um nicht offen zur Ideologie zu werden – , dass sie durch ihre Praxis diesem Begriff zutiefst widersprechen und damit der Entwicklung von vernünftigem weil widerständigem Denken selber das Wasser abgraben, das ist der eigentliche Verrat dieser Intellektuellen.

Stattdessen wäre gemeinsam durchsichtig zu machen, wie die durch die Umstrukturierung implementierten Kontroll- und Disziplinierungsinstrumente (etwa die Anwesenheitspflicht von BA/MA-Studierenden in Vorlesungen) zu umgehen oder auszuhebeln sind. Das würde ganz konkret die Studiensituation vieler Studierender verbessern und ein gutes Stück des im Ganzen unnützen Leistungsdrucks nehmen. Darüber hinaus könnte die gemeinsame widerständige Praxis den Grundstein für eine gemeinsame, selbstbestimmte Lehr- und Lernpraxis legen. Zur Zeit sieht dies noch anders aus. Die Hochschullehrer_innen geben den Druck, den sie erfahren, durch die Umsetzung und Durchsetzung der Kontroll- und Disziplinierungsinstrumente an die Studierenden weiter. Dagegen ist anzugehen.

Die wirkliche Befreiung der Hochschulen aber bedeutet die autonome Selbstbestimmung der Hochschulmitglieder, die direkt-demokratische Aneignung des Wissenschafts- und Bildungsprozesses durch Lehrende und Lernende und die Öffnung der Hochschulen für alle Teile der Bevölkerung. Das Angebot an die Hochschullehrer_innen steht. Sollte das aber mit den Hochschullehrer_innen nicht möglich sein, dann muss es zur Not auch ohne sie und im Zweifelsfall gegen sie gehen. Eine Möglichkeit eine solche direkt-demokratische Form des Wissenschaftsprozesses als Bildungsprozess auszuprobieren und erfahrbar zu machen, könnte die open_uni sein, auch wenn sie dieses Semester durch den querschießenden Theo-Dekan verhindert wurde. Darüber hinaus wird es eine gemeinsame Aufgabe sein und bleiben, selbstbestimmte Formen des gemeinsamen Leben und Lernens auch gegen die hegemonialen ökonomischen und politischen Interessen durchzusetzen.


1) So das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), ein Think Tank aus dem Hause Bertelsmann, der sich der Ausrichtung des Bildungswesens an den Erfordernissen der Ökonomie verschrieben hat.

2) Georg-August-Universität Göttingen – Auf dem Weg zur autonomen Hochschule; http://www.uni-goettingen.de/de/sh/33909.html

3) Andreas Keller: Zukunft Alma Mater GmbH; Freitag 39 (29.09.2006); http://www.freitag.de/2006/39/06390401.php, zur Einrichtung von Hochschulräten siehe auch Hannes Delto: Unternehmen Uni; in: Jungle World 38 (20.09.2007)

4) Andreas Keller: Zukunft Alma Mater GmbH; http://www.freitag.de/2006/39/06390401.php; siehe auch: ders.: Unternehmen Uni; http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/bildung/keller.html

5) Etymologisch entwickelt sich der Begriff der Bildung von der Bedeutung „ent-rohen“ ausgehend.

Erschienen am: 03.12.2007 zuletzt aktualisiert: 12.10.2009 13:43 AutorIn: email-address