Mehrere Zehntausend auf Krisendemos – Bildungsstreik im Somersemester 2009

Die bürgerliche Gesellschaft befindet sich in der Krise. Das ist nicht neu und auch nicht überraschend. Aber sie tut es dennoch und die Gründe hierfür liegen innerhalb der Gesetzmäßigkeiten von Produktion und Reproduktion selbst begründet. Kein äußerer “Bänker, Politiker oder Manager”, hat hier illegitim auf ein “originäres”, “ehrliches” System Zugriff gehabt und hat mit den sozialen Rechten gepfuscht. Die Krise ist real und sie resultiert aus einem komplexen Geflecht und Zusammenhang unterschiedlicher struktureller Faktoren.

Am 28. März diesen Jahres sind in Frankfurt und Berlin weit mehr als 50.000 Menschen auf die Straße gegangen um die Gesellschaftsform und die aus ihr resultierenden Zumutungen zu kritisieren. Es folgt ein Erfahrungsbericht aus Frankfurt:

In Frankfurt starteten zwei Demenstrationszüge in Richtung Römerplatz. Einer der Züge bestand aus 15.000 Teilnehmer*innen zu dem Parteien, Attac und ein Anti-Nato-Bündnis aufgerufen hatte. Der andere Zug wurde von diversen Basisorganisationen, linksradikalen Gruppen und Gewerkschaften organisiert. An letzterem Zug nahmen etwa 10.000 Menschen Teil. Nicht überraschend, aber nichtsdestotrotz eine Frechheit, war die massive Polizeipräsenz rund um die Demonstrationszüge. Durch ein enges Spalier wurde von Seiten der Beamt*innen weitestgehend verhindert, dass sich Menschen den Demonstrationen anschließen, Flugblätter verteilt und die Inhalte vermittelt werden konnten. Nichtsdestotrotz war die Demonstration kraftvoll und entwickelte bald eine gute Dynamik. Nach etwa zwei Stunden, kam die Demonstration schließlich auf dem Römer an, wo bereits Reden gehalten wurden. Dort wurden die unterschiedlichen Redner*innen angekündigt, unter Anderem auch Oscar Lafonatine, Vorsitzender der Linkspartei. Dies löste bei Teilen der Anwesenden Unmut aus.

Bereits im Vorfeld wurde seine Präsenz von einer Sprecherin der Autonomen Antifa(f) als Provokation bezeichnet. Als Lafontaine dann das Podium betrat, flogen Eier und andere Gegenstände auf die Bühne. Es wurden Flyer zur Kritik an Lafonatine in die Luft geschmissen und Parolen gerufen wie: “Flüchtlinge bleiben, Lafontaine vertreiben!”. Kurzzeitig kochte die Stimmung hoch, bis Lafontaine mit seiner Rede fertig war, die dauerhaft von Sprüchen und Pfiffen übertönt wurde.

Sahra Brechtel, Sprecherin der autonomen antifa[f], erklärte zu der Aktion:

“An Lafontaine zeigen sich deutlich die reaktionären Konsequenzen der Staatsfixiertheit weiter Teile der Linken. Sein Vorschlag, Auffanglager für MigrantInnen in Nordafrika aufzubauen, seine Beteiligung an der Abschaffung des Asylrechts, seine Zustimmung zu Folter und seine Hetze gegen „Fremdarbeiter“ ist der Versuch eine rassistische, nationalistisch(e) und autoritäre Politik als Links auszugeben. Dass solchen reaktionären Positionen auf der Abschlusskundgebung Raum geboten wurde, war eine Provokation für alle linken und antifaschistischen Bewegungen und Basisorganisationen und hat eine entsprechende Antwort bekommen.”

Nach der Aktion folgte noch ein Redebeitrag der Interventionistischen Linken. Danach löste sich die gesamte Veranstaltung auf. Die Busse aus den unterschiedlichen Städten setzten sich wieder in Bewegung und die Polizei lockerte ihre Massive Präsenz ein wenig.

Während der Demonstration führten wir ein Gespräch mit einer Teilnehmerin des sozialrevolutionären Blocks über Perspektiven des Protestes und der Auseinandersetzungen in Deutschland.

Man könne sich zum Beispiel an Form und Inhalt der Kämpfe in Frankreich orientieren. Dort sind Generalstreik, militante Betriebsaktionen und basisdemokratische Organisierung fester Bestandteil der sozialen Kämpfe, die von weiten Teilen der Bewegung auch gegen den Staat gerichtet sind, so die Demonstrantin.

In Frankreich kam es im Zuge der aktuellen Kämpfe zu unterschiedlichen direkten Aktionen der Belegschaften. In mehreren Betrieben wurden die Direktoren und Chefs teilweise tagelang eingesperrt. Die Continental-Arbeiter*innen bauten Barrikaden aus Reifen um auf ihren Protest aufmerksam zu machen. Dass dabei grundsätzlich der Rahmen der Legalität gesprengt wird, scheint Teilzweck der Auseinandersetzung zu sein. Die Tagesschau schreibt dazu:

“Geiselnahme des Chefs als Volkssport in Frankreich? Zumindest regt diese Protestform niemanden auf. Dass Mitarbeiter mit faulen Eiern nach Managern werfen, dass sie Firmen blockieren und wild streiken - das wird unter legitime Kultur des Arbeitskampfes verbucht.” (Bericht vom 26.03.09)

Hier in Deutschland habe man es jedoch mit einem besonders ausgeprägten autoritären Sinn zu tun, indem sich die Menschen selbst verbieten, gegen den Staat in Stellung zu gehen. Sie hoffen auf das menschliche Antlitz der Krisenverwaltung, so die Aktivistin auf der Demonstration weiter.

Dies ist – wie die Geschichte beweist – eine unbegründete Hoffnung, da der Staat nicht gegen die Markgesetze handeln kann. Er steht nicht über, sondern ist unmittelbarer Bestandteil der Ökonomie. Diese Hoffnung vieler, der Staat würde als Retter in die Bresche springen, mündet letztlich in einem autoritären Gesellschaftsverständnis. So zum Beispiel im Fall der Linkspartei, die versucht, den Staat als Moment der Krisenlösung zu begreifen. Für sie gilt die Partei, die sich zwangsläufig im Staat organisiert, als Ausdruck des Willens der Bewegung und damit als legitime Sachverwalterin der “Interessen der Bewegung”. Da ist die Partei ganz der Bürger, den sie zum Teil so scharf kritisiert.

“Die sozialen Bewegungen werden durch Parteien von ihrem Begehren entkoppelt und in ein allgemeines Interesse eingefügt, welches dann auf höherer Ebene zu Kompromissen im Sinne der National-Ökonomie führt. Das ist die Entfremdung durch die Bürokratie. Das haben wir in ähnlicher Form im Real-Sozialismus schon gesehen und das wollen wir nicht wieder sehen.” So die Aktivistin abschließend.

Auf der Insel Martinique kämpften in den vergangenen Wochen unterschiedliche soziale Bewegungen gemeinsam mittels eines Generalstreiks und in Griechenland flammen die sozialen Kämpfe, die durch die Ermordung des politischen Aktivisten Alexandros Grigopolus entfacht wurden, immer wieder auf. In Deutschland wird gewartet und an den Staat appelliert. Die Frage ist, wie lange können die Widersprüche kompromittiert werden, bis selbst die illusorischste Hoffnung, dass alles innerhalb der bestehenden Gesellschaft besser wird, nichts als ein bloßer Trümmerhaufen ist? Die Gruppen, Organisationen und Parteien waren sich einig: Diese Demos waren erst der Anfang. Die Rede ist von einer sukzessiven Steigerung, bis hin zum Generalstreik.

Bildungsstreik im Somersemester 09

Für Juni diesen Jahres ist auch im Bereich der Bildung mit verschärften Auseinandersetzungen zu rechnen. Bundesweit haben sich mehrere Gruppen zusammengeschlossen um an den Universitäten und Hochschulen Streiks vorzubereiten. Konkret soll es um die Verbesserung und Entlastung der Studienbedingungen seit Einführung von Studiengebühren und Bachelor/Master gehen. Auch in Göttingen gibt es Vorbereitungstreffen für die Auseinandersetzung. In den kommenden Wochen soll es mit Öffentlichkeitsarbeit in Form von Infoständen, Aktionen und Flugblättern losgehen.

“Wir hoffen auf eine breite Beteiligung von Seiten der Studierenden und suchen den Kontakt mit Schüler*innen, Auszubildenden und Angestellten der Uni Göttingen. Es könnte ein heißer Sommer werden”, teilte uns ein Aktivist aus dem Vorbereitungskreis mit.

Erschienen am: 12.06.2009 zuletzt aktualisiert: 12.06.2009 18:46 AutorIn: email-address