„Einmal O.C. und zurück bitte …“

„Das macht dann den Betrag eines Stundenlohns“

Auf dem Sofa sitzend, habe ich gerade meine selbstgedrehte Zigarette angezündet. Ich hab’ den Morgen in der Uni verbracht, komme gerade noch von der Frühschicht und fühle mich seltsam entzweit. Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, mal was auf die Reihe gekriegt zu haben. Ich hatte die Texte für mein Seminar gelesen und Bücher aus der SUB geholt für mein Referat in zwei Wochen. Andererseits drängt sich die Frage ins Bewusstsein: Was mach’ ich hier eigentlich? Gibt es nicht so viele Sachen, die ich viel lieber machen würde? Diese Sinnkrise kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen, denke ich mir angestrengt. Irgendwie muss ich mich ablenken. Mit mehr Glück als Verstand gelingt es mir, die sich selbst aneinanderreihenden Gedanken zu lösen und den Entschluss zu fassen: So wird das nichts, ich brauche äußere Hilfe.

In weniger als zwei Minuten ist der Computer an, die Kerzen flackern im Durchzug der halbdichten Fenster und mit ein paar Clicks ist YouTube und schließlich der erste Teil der nächsten Folge O.C. California geladen.

Die vertrackte Beziehung zwischen Marissa und Ryan beschäftigt mich und die Kassen der Kulturindustrie gleichermaßen, wenngleich aus anderen Gründen. Sie reden nicht miteinander. Sie reden verdammt noch mal nicht miteinander und statt sich dieser Tatsache bewusst zu werden, einen Umgang damit zu finden, trennen sie sich lieber mit den Worten „Reden war wohl nie unsere Stärke …“.

Und dann erwischt es mich eiskalt. Bin ich Ryan? Ist der Charakter, der scheinbar so einfach gestrickt ist, nicht ein komplex gezeichnetes Stereotyp männlicher Sozialisation? Habe ich nicht eben noch den Computer angemacht, um mich von meinen eigenen Gefühlen abzulenken? Mich den Gefühlen der zerrissenen und problembehafteten Welt der Richkids von O.C. California zu widmen? Vielleicht. Ryan kann nicht über seine Gefühle reden. Über die gesamte Laufzeit der Serie kullert, glaube ich mich zu erinnern, keine einzige Träne über sein kantiges, aber sanftes Gesicht. Kenne ich das nicht irgendwoher? Warum ist es so, dass es mir so schwer fällt, darüber zu reden, wenn mich etwas bedrückt, wenn mich jemand verletzt hat?

Ryan. Das autonome Subjekt aus der Arbeiterklasse, das für heterosexuelle männliche Zuschauer eine ideale Projektionsfläche der eigenen Sehnsüchte bereit hält. Er ist problembehaftet, kann aber nichts für seine Misere und tut stets alles in bester Absicht. Er will mit seinen Problemen niemandem zur Last fallen und antwortet auf die Nachfragen seiner Ersatz-Eltern stets mit einem lässigen „Ja, ja, alles bestens.“ Er will anderen, den vermeintlich Schwachen helfen. Habe ich nicht selbst noch vor kurzem so viel von meiner Unabhängigkeit gehalten? Stolz davon gesprochen, dass ich meine Probleme selber lösen kann? Was für Ryan der Faustkampf in den Auseinandersetzungen mit anderen jungen Männern um die Projektionsfläche seiner Emotionen (Marissa, Teresa) ist, ist für mich meine eigene Form der Körperbeherrschung. Ich gehe ins Fitnessstudio und habe danach das wohlige Gefühl, was geleistet zu haben, lese einen langweiligen Uni-Text und freue mich über mein Durchhaltevermögen.

Hat Ryan Freunde? Was bedeuten mir meine Freundschaften? Schon in der Schule habe ich gelernt, dass der Klassenzusammenhang nicht gleichbedeutend ist mit Freundschaft. So ähnlich erging‘s mir im Fußballverein, in meiner Band, im Studium usw. Die meisten Freundschaften schwinden mit der Zeit, gelegentlich sieht man sich wieder - vielleicht hätte man sich doch anders aufeinander beziehen sollen? Die Männerfreundschaft hat eine ganz eigene Qualität. Im „Volksmund“ heißt es, Männer könnten nun mal nicht über Gefühle reden, deswegen können sie es gleich bleiben lassen. Das stimmt, wäre da nicht der verkürzende Biologismus. Sie können es nicht, weil ihnen in der frühkindlichen Entwicklung die Verdrängung als Umgang mit der eigenen Gefühlswelt eingepeitscht wird. Das heißt im Umkehrschluss: Sie könnten es sehr wohl, nur bedeutete es jede Menge Selbstkritik. Das „weiblich“ konnotierte wird abgespalten und auf Frauen projiziert. Weinen ist uncool und hinterlässt ratlose Gesichter bei den anderen Jungs, Schwäche wird knallhart für den nächsten flapsigen Spruch ausgenutzt und das Bedürfnis nach Geborgenheit wird als „schwul“ diffamiert. Männerfreundschaften sind nicht geprägt von Bedürfnissen und Gefühlen. Sie sind von einer Zielsetzung, einem übergeordneten Zweck geprägt, der das Beisammensein legitimiert. Sei es Politik, Fußball, Saufen, Karnevalsverein. Unter Männern trifft man sich, um irgendwas zu machen, was sich einem instrumentellen Imperativ unterordnen lässt. Das Ziel beim Fußball gucken ist gesetzt und die Unterordnung schweißt zusammen.

Das hat Konsequenzen! Die Gefühle und Gedanken, die man sonst mit sich rumträgt, haben keinen Wert an und für sich, sondern erlangen ihre Legitimität erst durch die Lösung. Gibt es keine Lösung für das Problem, das durch einfache Schritte verhandelt werden kann, ist man ein Emo, heult und jammert man rum. Man sei ein Waschlappen und die Härte, die man beständig durch das Verdrängen der eigenen Gefühle entwickelt, wird zum Argument gegen denjenigen, der das Verdrängte ins Bewusstsein ruft. Seth hat viele Probleme. Er wird als Emo und nerdiger Comic-Freak dargestellt. Aber auch er, dessen Freundschaften in der Serie dürftig gesät sind, kennt nur die Pläne, um seine Fehler gut zu machen. Die Verletzungen kennen bei ihm keine Worte. Sein Umgang, als er mit Summer Schluss macht, ist dementsprechend symptomatisch:

Ryan: “Hast du hier im Pool-Haus auf mich gewartet, um mich nach meiner Mom zu fragen?“

Seth: „Ich glaub, ich hab den schlimmsten Fehler meines Lebens gemacht. Jetzt muss ich Summer zurück gewinnen und irgendwie auf die Brown (*) kommen.“

Ryan: „Toll. Und wie?“

Seth: „Da kommst du ins Spiel.“

Ryan: „Brauchen wir ‘nen Plan?“

Seth: „Das wird ‘ne lange Nacht, Ryan. Viel Gewimmer, viel Gejammer. Vielleicht ein bisschen Brainstorming … einverstanden?“

Ryan: „Absolut einverstanden.“

(*) Die Brown ist die Universität, an der Seth und Summer gemeinsam studieren wollten.

Die Folge geht zu Ende und aufgemuntert vom Happy-End drehe ich mir noch eine Zigarette, rauche - und mit dem entschuldigenden Gedanken, dass das alles nur unzulässige Stereotypie sei, lege ich mich ins Bett und bereite mich mental auf‘s Aufstehen am nächsten Tag vor …

Erschienen am: 13.01.2010 zuletzt aktualisiert: 13.01.2010 20:55 AutorIn: email-address